Bruce Greyson begegnete dem Phänomen der Nahtoderfahrungen erstmals vor etwa 50 Jahren. Damals, noch als Auszubildender in der Psychiatrie, arbeitete er in einem Krankenhaus, als er eine dringende Nachricht über eine Studentin erhielt, die mit einer Überdosis in die Notaufnahme eingeliefert wurde. Das Mädchen war bei der Einlieferung bewusstlos und wurde von den Ärzten mit Erster Hilfe versorgt. Nachdem er einen Namenscheck durchgeführt und festgestellt hatte, dass die Patientin, Holly nicht ansprechbar war, verließ Greyson das Zimmer, um mit ihrer verängstigten Mitbewohnerin Susan zu sprechen.
Am nächsten Morgen kehrte er in das Zimmer der Patientin zurück und rief erneut ihren Namen. Holly lag mit geschlossenen Augen da, und ohne sie zu öffnen, antwortete sie: „Ich erinnere mich an Sie.“ Der Arzt verstand zunächst nicht, was sie meinte. Holly schilderte jedoch das Gespräch mit Susan und fügte hinzu: „Sie trugen eine gestreifte Krawatte, auf der ein roter Fleck war.“ Greyson erinnerte sich plötzlich an den Soßenfleck, den er verursacht hatte, als er zum Krankenwagen derselbigen Patientin geeilt war. Niemand außer Susan hatte ihn gesehen, weil er hinter einem zugeknöpften Arztkittel verborgen war, den er erst während seines Gesprächs mit ihr aufgeknöpft hatte. Dies war die erste Begegnung des Arztes mit einer außerkörperlichen Erfahrung während einer NTE, was ihn dazu veranlasste, dieses Phänomen zu untersuchen.
Bruce Greyson, heute ein renommierter Professor für Psychiatrie an der Universität von Virginia, beschreibt diesen Fall in seinem neuen Buch „After: A Doctor Explores What Near-Death Experiences Reveal about Life and Beyond“, das im März dieses Jahres erscheinen wird. Bruce Greyson ist der Autor der berühmten Greyson-Skala, die in vielen wissenschaftlichen Studien als internationaler Standard zur Bewertung von NTEs zitiert wird. Der Wissenschaftler selbst entlarvt gerne die Mythen, die mit diesem Phänomen verbunden sind, zum Beispiel, dass Sauerstoffmangel die Ursache für Halluzinationen ist, da Ärzte in den meisten Fällen während einer NTE einen erhöhten Sauerstoffgehalt im Gehirn registrieren.
Greyson, der dieses Phänomen seit mehr als 50 Jahren an Patienten mit Nahtoderfahrungen erforscht, ist auch ein häufiger Gastsprecher, zum Beispiel in der kürzlich auf Netflix ausgestrahlten Serie “Surviving Death”. In seinem Buch teilt er nicht nur die Geschichten von Patienten, sondern äußert auch seine eigene Meinung über Nahtoderfahrungen. Nach den Recherchen des Autors erleben 5% aller Menschen auf der Welt eine Nahtoderfahrung, und etwa 10-20% derjenigen, die sich am Rande des Todes befinden. Natürlich basiert dies nur auf berichteten Fällen; die tatsächlichen Zahlen können um ein Vielfaches höher sein.
Greyson hat noch nie zwei Berichte über Nahtoderfahrungen gehört, die sich ähneln. Allerdings sprechen 80% der Überlebenden darüber, wie sie ihren Körper zum Zeitpunkt des Todes verlassen haben. Weitere 25 % erinnern sich an die Ereignisse ihres Lebens, bis hin zur Geburt oder zum Säuglingsalter. Aber was noch seltsamer ist, viele sagen, dass sie während ihres Erlebnisses eine Person gesehen haben, von deren Tod sie später erfahren würden. Nach jahrzehntelanger Forschung neigt Greyson zu der Idee, dass „die Beweise überwältigend darauf hinweisen, dass der physische Körper nicht alles ist, was wir sind.“ Unser Bewusstsein verändert sich nach dem Tod. Das Faszinierende ist, dass hier eine Erfahrung gemacht wird, die in wenigen Sekunden die Einstellung und das Verhalten von jemandem für Jahrzehnte danach völlig verändern kann. Ich kenne nichts anderes, das so mächtig ist“, sagt Greyson.
Das Buch ist auf Amazon erhältlich.