Schlaflähmungen werden oft von schrecklichen Halluzinationen begleitet, deren Natur noch nicht vollständig verstanden wurde. Warum sehen Menschen am häufigsten gesichtslose Schatten, unabhängig von den kulturellen Mythen, die einen starken Einfluss auf diese Art von Halluzinationen haben? Am häufigsten handelt es sich dabei um Geister oder um mysteriöse Präsenzen, denn die Halluzinationen sind selten visuell, und wenn, dann sind sie schwer zu unterscheiden.
Natürlich gibt es Fälle von vollwertigen visuellen Halluzinationen, wenn eine Person Dämonen oder Hexen detailliert beschreibt. Meistens handelt es sich jedoch um dieselben Schattenfiguren, die mit Fabelwesen in Verbindung gebracht werden. Vielleicht haben wir am meisten Angst vor dem, was wir nicht sehen können. Schließlich beruhen viele Horrorfilme auf genau diesem Effekt. Wir erleben die stärkste Angst, wenn wir in die Dunkelheit blicken und uns das Schlimmste in unserer Fantasie ausmalen.
Zur Beantwortung dieser Frage stellt Baland Jalal von der Universität Cambridge in einem kürzlich erschienenen Artikel in der Zeitschrift „Medical Hypotheses“ eine interessante Hypothese zur rechten Hemisphäre auf. Der Forscher meint, dass sie der Hauptgrund für solche Halluzinationen ist. In der Tat ist die rechte Hemisphäre für die nonverbale Informationsverarbeitung zuständig. Wir hören oft, dass die linke Hemisphäre für logisches Denken zuständig ist, während Menschen mit einer gut entwickelten rechten Hemisphäre fantasievoll, intuitiv und kreativ sind.
Durch den Vergleich der unterschiedlichen Berechnungsstile bei der Verarbeitung von Informationen in der rechten und linken Hemisphäre kommt Jalal zu dem Schluss, dass die rechte Hemisphäre für die Halluzinationen verantwortlich ist, die mit der Schlaflähmung verbunden sind, sowie für außerkörperliche Erfahrungen. Außerdem werden die geisterhaften Halluzinationen (Geister und gesichtslose Schatten), die während der Schlaflähmung auftreten, nicht einfach aus den aktiven Zentren der rechten Hemisphäre geboren. Sie werden durch die Tatsache verursacht, dass unser visuelles System während der REM-Phase des Schlafes mit reduzierter Kapazität arbeitet, oder in einer Art Energiesparmodus.
Vereinfacht gesagt, wird die Last der visuellen Informationsverarbeitung minimiert, was dazu führt, dass Informationen nur oberflächlich gelesen und Unbekanntes mit Hilfe der aktiven Hirnfunktionen verfeinert wird – die so genannte Oberflächeninterpolation, verstärkt durch unsere Vorstellungskraft.
Das ist der Grund, warum uns Figuren im Dunkeln wie lebendige Gestalten aus Horrorfilmen erscheinen, obwohl wir sie in den meisten Fällen als verschwommen und gesichtslos wahrnehmen. Wenn die Hypothese des Wissenschaftlers stimmt, werden Patienten mit Verletzungen der rechten Gehirnhälfte während Anfällen von Schlaflähmung seltener das Grauen erleben, oder die Anfälle können durch transkranielle Stimulation vorübergehend ausgeschaltet werden.
Wir sind gespannt auf Experimente, die diese Hypothese belegen.
Der Artikel wurde im Januar 2021 in der Zeitschrift Medical Hypotheses veröffentlicht.